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Forschungsprofil der Professur für Systematische Theologie

Die Aufgabe der Systematischen Theologie ist die Reflexion der Inhalte des christlichen Glaubens in Bibel und Tradition (Kirche), um sie in ihren kultur-, religions- und zeitgeschichtlichen Transformationen zu verstehen, eigenständig wie kritisch zu beurteilen und im ethischen Handeln zu bewähren. Die Reflexion von Glaubensaussagen soll methodisch zuverlässig und argumentativ stringent erfolgen, im Bewusstsein der interdisziplinären Verflechtung wissenschaftlichen Arbeitens wie der Notwendigkeit der kommunikativen Vermittlung akademischen Wissens. All dies gilt für die vier Teilbereiche der Theologiegeschichte, Dogmatik, Religionsphilosophie und Ethik.

Theologiegeschichte und Religionsphilosophie bilden den unverzichtbaren Hintergrund jeder theologischen Reflexion: Zum einen weil die Kenntnis der historischen Fachentwicklung die Vielzahl möglicher theologischer Positionierungen mit all ihren Chancen wie Irrtümern vermittelt. Zum anderen weil Aneignung wie Fortschreibung dieser vielfältigen, einander nicht selten widersprechenden Positionen nur mithilfe einer präzisen Begrifflichkeit, Analyse- und Urteilsbildung wie Modellierung gelingt. Für Dogmatik und Ethik stellt sich das Bild insofern anders dar als hier in den nächsten Jahren ein innerfachlicher Paradigmenwechsel zu fordern ist: Die Aufgabe der Dogmatik wird traditionell in der Archivierung, Darstellung und Vermittlung geltender Lehre gesehen, was in relativ statischen Systemen mit normativem Anspruch zum Ausdruck kommt. Solch ein Verständnis von Dogmatik ist allerdings dann nicht länger haltbar, wenn man das Bewusstsein für kultur-, religions- und zeitgeschichtliche Transformationen konsequent auf die dogmatische Tradition anwendet und sie in hermeneutischer Perspektive auf ihre jeweilige lebensweltliche Bedingtheit hin analysiert. Dann zeigt sich nämlich, dass die dogmatischen Spitzenpositionen zwar institutionell pragmatisch eingesetzt bzw. instrumentalisiert und normativ vertreten wurden, dass ihre Entwicklung aber zuerst und vor allem dem Versuch verdankt ist, das Leben vor Gott zu verstehen. Knapp gesagt: Leben kommt vor Lehre, Verstehen vor System. Das künftige Profil des Fachgebietes Systematische Theologie weiß sich daher einem hermeneutischen, relationalen und der eigenen Zeit zugewandten Leitbild dogmatischen Verstehens verpflichtet.

In konsequenter Weiterführung gilt dies auch für die systematisch-theologische Reflexion ethischer Probleme, die im Anschluss an die wegweisende, aber erst in jüngster Zeit etablierte Position von Johannes Fischer (Zürich) vertreten wird. Seine deskriptiv-hermeneutische Ethik setzt weniger auf die Durchsetzung normativer Lösungsansätze in aktuellen Konfliktfeldern angewandter Ethik (z.B. PID, Organtransplantation, Hirntod-Debatte), sondern zielt auf die Analyse vorhandener Überzeugungen und Vorstellungen, um deren orientierenden Sinn mitsamt den moralischen Implikationen wahrzunehmen und zu verstehen. In Verbindung mit obigem Paradigmenwechsel in der Dogmatik eröffnet dies ein neues Aufgabengebiet für die theologische Ethik, nämlich das große Feld der „Zwischenphänomene“: Individual- wie sozialethische Phänomene, die den verhandelten Konflikten angewandter Ethik vorgelagert, aber maßgeblich an der Ausbildung und Durchsetzung moralischer Vorstellungen und ethischer Handlungsweisen beteiligt sind. Dazu gehören z.B. Angst und Furcht, Depression und andere Formen der Autoaggression, aber auch Vertrauen, Hoffnung oder Verantwortlichkeit. Der Blick richtet sich also auf Affekte und Emotionen, Intuitionen, Imaginationen, prozessuale Vollzüge und anderes mehr, die letztlich Phänomene der (Psycho-)Pathologie wie der Resilienz erklären können, und zwar in allen Bereichen der Ethik von der Sozial- bis zur Bio- und Technikethik. Für deren Erforschung ist und bleibt die theologische Ethik angewiesen auf die Kooperation mit den jeweiligen Wissenschaften, in deren Diskurs sie eine analysierende, moderierende und die Urteilsbildung orientierende Funktion hat.

Es ist mir daher ein Anliegen, über gemeinsame Lehr- und Forschungsprojekte mit den innertheologischen Disziplinen hinaus, interdisziplinäre wie internationale Kooperationen einzugehen sowie den Transfer in eine Vielzahl gesellschaftlicher Foren zu leisten. All dies soll aus den folgenden Überlegungen deutlich werden.

Zur aktuellen Forschung:

1. Forschungsprojekt für das Fach Systematische Theologie – Lehramtsausbildung 

Für die Lehramtsstudiengänge gibt es (abgesehen von explizit religionspädagogischen Unterrichtshilfen) bislang kaum systematisch-theologische und ethische Lehrbücher. Denn angesichts der (im Vergleich zum Vollstudium Ev. Theologie) knappen Studiendauer braucht es hier eine Umstellung der Lehrperspektive, so dass die theologischen Inhalte deutlicher von den Anforderungen in den Schulen her präsentiert werden; anders gesagt: Fachdidaktik ohne Reduktion des Fachwissens auf die Didaktik. So ließe sich z.B. das Thema Sünde von den schulischen Erfahrungen im Umgang mit eigenen Ansprüchen und eigenem Scheitern d.h. mit Identitätsbildung ohne Vollkommenheitsdruck, mit Gewalt, Ausgrenzung, Missachtung persönlicher Grenzen, etc. thematisieren – und könnte darüber zudem die konstitutive Verbindung von Systematik/Dogmatik und Ethik betonen: Christlicher Glaube findet seine Bewährung in der Lebensführung, nicht im theoretischen Argument. Um diesen Mangel zu beheben, ist daher ein mehrgliedriges Promotionsprojekt zur Verzahnung von Forschung und Lehre geplant, das in Interaktion mit den Studierenden und mithilfe der Kölner Graduiertenschule Fachdidaktik und a.r.t.e.s. durchgeführt werden soll: Konkret werde ich also Promovierende über das Teamteaching in die Lehre einführen, und zwar anhand solcher Themen, die sich in Interaktion mit den Studierenden als zentral für ein Lehrbuch Systematischer Theologie erweisen und dafür getestet werden.

2. Forschungsprojekt: Resilienz – humane Konstitution, Selbstbewusstsein und Gnadengabe. Zur Erforschung eines elementaren Phänomens für Lebens- und Kulturwissenschaften (Projekt in Kooperation mit der Forschung an der Universität Bonn)

Der Begriff der Resilienz ist seit mehreren Jahren zu einem Zentralbegriff der Forschung in Lebens- und Kulturwissenschaften geworden. Er bezeichnet die manchen Menschen eigentümliche Fähigkeit bzw. Begabung, schwere Krisensituationen selbst unter schwierigsten individuellen, psycho-physischen oder sozialen Ausgangsbedingungen zu bewältigen. Während das Phänomen resilienter Persönlichkeiten unstrittig ist, ist bisher nicht geklärt, welche Bedingungen zu ihrem Aufbau letztlich maßgeblich sind. Ein Grund dafür liegt m.E. in der bisherigen disziplinären Konzentration der Forschung, deren perspektivische Spezialisierung der Komplexität des Problems nicht gerecht zu werden vermag. Stattdessen konzentriert man sich einlinig auf Resilienz z.B. als eine vorfindliche psycho-physische Konstitution oder man versucht, sie als Programm effizienten Persönlichkeitstrainings zu etablieren oder man analysiert Strategien der Transformation resilienter Faktoren für die Salutogenese. Die einzelnen methodisch wie phänomenologisch differenten Herangehensweisen haben ohne Zweifel wichtige und gültige Ergebnisse erzielt. Unklar ist jedoch – und damit ist das sachliche Ausgangsproblem des Projektes benannt – deren Gewichtung, Interaktion und v.a. deren konstituierende Genese.

Das gilt auch für die theologisch-ethische Perspektive: Für sie ist das Thema insofern von hoher Bedeutung, als der lebenstaugliche Umgang mit Einschränkung und Schmerz, Angst, Verzweiflung, Schuldfragen, Traumatisierung, Trauer, Verlust oder Einsamkeit seit jeher zu ihren genuinen Arbeitsfeldern gehört. Es verwundert daher nicht, dass die theologische Seelsorge und Pastoralpsychologie für Lebenserfahrungen dieser Art nach wie vor in hohem Maße in Anspruch genommen werden. Scheint es ihnen doch leichter zu fallen als anderen Disziplinen, die elementare Einsicht anzuerkennen und auszusprechen: „Auch der Tod gehört zum Leben“. Eine Erklärung für die Genese von Resilienz hat freilich auch die Theologie nicht. Denn schon die simple Unterstellung, ein „fester Glaube“ würde in schweren Lebenssituationen „sicher helfen“, greift zu weit und verkennt die christlichem Glauben seit jeher inhärente Anfechtung. Allerdings zeigt sich aus theologisch-seelsorgerlicher Sicht ein Motiv und eine Frage, die möglicherweise geeignet sein könnten, die disziplinär divergente Resilienzforschung auf eine gemeinsame Perspektive hin zu fokussieren: Ist Resilienz eine uns vorgegebene, angeborene oder anerzogene Fähigkeit oder ist sie eine Fähigkeit, die sich im Durchleben der Krise erst aufbaut? Das würde bedeuten, dass das Phänomen der Resilienz selbst von einer tiefen Ambivalenz geprägt ist: So wichtig es ist, existentielle Krisen bewältigen zu können, so ernst zu nehmen ist die Tatsache, dass es gerade die existentielle Krisensituation ist, die zum Sichtbarwerden, möglicherweise sogar zur Genese von Resilienz führt.

Das Projekt verfolgt daher eine doppelte Zielsetzung in folgenden Kooperationen:
Das erste Ziel ist die Etablierung eines Forums für eine transdisziplinäre Kooperation aller beteiligten Disziplinen aus Lebens- und Kulturwissenschaften, um die komplexe Interaktion der einzelnen Faktoren von Resilienz bearbeiten zu können. Vor dem Hintergrund des ein-gangs dargestellten Profils einer theologischen Ethik mit deskriptiv-hermeneutischem und orientierendem Anspruch bietet sich die Theologie an als Initiatorin und Moderatorin eines Prozesses, der maßgeblich auf die Translation der disziplinären Forschung angewiesen ist. 

Das zweite Ziel besteht in der Erweiterung des transdisziplinären Forums auf den Bereich der angewandten Forschung in therapeutischen und beratend-begleitenden Institutionen, z.B. Palliativdienste, psychosomatische Rehabilitationszentren, Jugendpsychologen, klinische SeelsorgerInnen etc. Der Vorteil dieser Ausweitung besteht erstens darin, die theoretische Forschung an die konkrete „Fallebene“ zu binden und an ihr zu prüfen. Zweitens lassen sich über den Schritt „in die Anwendung“ weitere finanzielle Förderquellen erschließen. Drittens wird darüber eine breite Basis für mögliche Transferprojekte mit entsprechender Öffentlichkeitswirkung geschaffen.