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23. Dezember

Matthäus 14, 22-33

22 Und alsbald trieb Jesus seine Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm hinüberzufahren, bis er das Volk gehen ließe.
23 Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er allein auf einen Berg, um zu beten. Und am Abend war er dort allein.
24 Und das Boot war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen.
25 Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem See.
26 Und als ihn die Jünger sahen auf dem See gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht.
27 Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!
28 Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser.
29 Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu.
30 Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, hilf mir!
31 Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?
32 Und sie traten in das Boot und der Wind legte sich.
33 Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!

Luther 1984

Film Life of Pi „Rettet“ unsere Seelen

 
Angst ist ein Raubtier. Ihr Revier ist der undurchdringliche Teil des Dschungels, den wir Bewusstsein nennen. Dort verbirgt sie sich, schläft, stellt uns nach oder verbeißt sich in unseren Verstand. Es gibt Menschen, die 95 Jahre alt werden und keine Vorstellung davon haben, welche Kraft dieses Raubtier entwickeln kann. Und es gibt Menschen wie Piscine Molitor Patel.
[…] der Roman The Life of Pi (Schiffbruch mit Tiger) des Franko-Kanadiers Yann Martel […] erzähl die Geschichte des indischen Jungen Piscine „Pi“ Patel, der nach einem Schiffbruch 227 Tage lang mit einem bengalischen Tiger in einem Rettungsboot auf dem Meer treibt. Der Roman ist eine an Bildern und religiösen Verweisen reiche Parabel, grausam, fröhlich. Wie man ihn interpretiert, ist Glaubenssache.
[…] Mut bedeutet, sich dem Raubtier, das am Rande der Wahrnehmung herumstreift, zuzuwenden. Als das Schiff Tsimtsum mitsamt seiner Familie an Bord untergeht, bleibt Pi Patel (Suraj Sharma) nichts anderes übrig.
Die Tsimtsum sollte die Familie eigentlich von Indien nach Kanada bringen. So hatte es sein Vater, ein Zoobesitzer aus Pondicherry, aus Angst vor den politischen Umbrüchen in der Heimat beschlossen. Die meisten der Zootiere, mit denen Pi seine Kindheit verbracht hat, konnten die Patels noch in Indien verkaufen. Mit dem Geld wollte die Familie neu anfangen. Nun sind Vater, Mutter, Pis Bruder und ihre verbliebenen Tiere im Bauch des Schiffs eingeschlossen, das in Nacht und Sturm versinkt.
Pi steht unter Schock. Er ist der einzige Überlebende des Unglücks, aber nicht alleine in dem Rettungsboot: Er teilt es sich mit einer Hyäne, einem Orang-Utan, einem verletzten Zebra und einem bengalischen Tiger namens Richard Parker.
Die Tiere sind für den Schiffbrüchigen die letzte Verbindung zu dem Leben, aus dem ihn das Unglück gerissen hat. Er will sie beschützen und er muss sich vor ihnen schützen. Immerhin sind in seinem Ruderboot drei Raubtiere. Eines davon ist er, der Vegetarier.
„Im Buch geht es um die Macht des Erzählens, um Spiritualität und Vorstellungskraft und darum, Dinge anzunehmen, auch wenn man sie sich nicht erklären kann“, sagte Ang Lee bei der Filmpremiere in London. Mit denselben Worten könnte man auch die bisherigen Filme des in Taiwan geborenen Regisseurs beschreiben.
Um die Geschichte von einem Jungen und einem Tiger zu erzählen, bedient sich der Regisseur nun im bildgewaltigen Fundus dreier Weltreligionen: Hinduismus, Christentum und Islam. Allen dreien hatte sich Pi schon als Kind verschrieben. Der Sohn eines Atheisten liebt Brahma und Shiva, die er aus den Gutenachtgeschichten seiner Mutter kennt. Er verehrt Jesus, mit dessen Wirken ihn ein katholischer Priester vertraut gemacht hat, und hält auch am Wort Mohammeds fest, das Allah preist. Für Pi sind Religionen nur die Glasplättchen eines Kaleidoskops, durch das man einen Blick auf Gott werfen kann. Nun, auf einem scheinbar endlosen Meer treibend, gelangt selbst er an die Grenzen seines Glaubens.
[…]
„Irgendwann kommt der Moment im Leben, in dem der eigene Glaube getestet wird“, sagte Ang Lee über die Dreharbeiten. Der Oscar-Preisträger, der selbst die Liebesgeschichte zweier schwuler Cowboys mit Leichtigkeit erzählen kann, hatte Schwierigkeiten, sich für die endgültige Fassung des Films zu entscheiden. Horror oder Wunder? Das Kino ist ein Medium, das die Mittel für beides bietet. Sind die Kinogötter gnädig, kann es sogar Nihilismus und Glauben in einem Film vereinen – und uns gleichzeitig trösten.

http://www.zeit.de/kultur/film/2012-12/life-of-pi-schiffbruch-mit-tiger-film/seite-2